Weltentheater 01  Text

 

Kunstlandschaft Bundesrepublik Deutschland 1984

(Junge Kunst Publikationstext )

 

1983 Alte Orgelfabrik Karlsruhe-Durlach

Projekt  JÜNGSTES  GERICHT

 

1995 Altes Rathaus Pforzheim

Projekt „Quodnam facit iste ?“

 

Junge Kunst hat das Bedürfnis nach Erneuerung. Schneller und frühzeitiger als vor Jahren behaupten sich junge Künstler. Neuland betreten, Experimente durchführen: der Wunsch, der hinter dieser Zauberformel steht, scheint so groß wie in den ersten Nachkriegsjahren zu sein. „“Ein Hoffnungsschimmer, als hätten sich alle, die länger als ein Jahrzehn malen und meißeln, zwangsläufig verbraucht oder den Veränderungen der Kunstlandschaft nicht angepasst. Das Spektrum, das sich heute an der Oberfläche der Szene zeigt, ist wie anderswo auch von lebhaften Experimenten auf der Basis rigoroser Stilmischungen gekennzeichnet. Doch die Äußerungen sind impulsiver, die „Beschäftigung mit der eigenen Biographie“ ist nicht mehr wie vor zehn Jahren verpönt und steht auf dem Prüfstein gesellschaftlicher Wirksamkeit.

Ein Beispiel ungewöhnlicher Aktionsformen illustriert solche Möglichkeiten. Im Herbst 1983 veranstalteten die Karlsruher Maler Georg Schalla und Uwe Lindau in einer ausgedienten Orgelfabrik in Durlach das Jüngste Gericht – nachgestellt in einer zeitgemäßen Version mit Hakenkreuzen, Atomschlägen und Kirchengeläut. Beide Künstler hatten wochenlang in der Fabrik, die wie eine Ruine einer Kathedrale aussieht, gelebt und gemalt: Die apokalyptische Romantik leuchtet auch im Südwesten. Die Vehemenz des Ausdrucks – die Hölle kommt von oben, die Guten wehren sich mit 842 gemalten Händen von unten – lassen Ernst und Verzweiflung des Unternehmens ebenso glauben wie ein gesundes Bewusstsein der beiden Künstler, auf der Bühne zu stehen. Und so könnte die Kunstfrömmigkeit der fünfziger Jahre, der globale Anspruch der kühnen Form aus den Sechzigern, die Verhärtung und der Aufbruch in den siebziger Jahren die Version eines Abgesangs auf das Badner-Lied formulieren, wie es in der Regieanweisung zum Jüngsten Gericht von Lindau und Schalla steht:


“Die Toten sind:

Gott: Bundesrichter

Heiliger Geist: Irrer

Priester: war schon immer Zuhälter

Gläubige: Penner

Vorsänger: wird benutzt für Horrordichtung

Chor: Anstaltsinsassen

Jesus: ist identisch

Teufel: ist identisch

Maria: Nymphomanin

M.-M: Hure

Johannes der Täufer: schwul

Tänzer: Puff

Kirchendiener: Idiot, der immer Geld will

Papst: Sexus Siphillus, der immer aktuelle

Tor: der langweilige aufdringliche Alte.“

                                                                        Rainer Braxmaier

  

Arbeitsinhalte zu den Projekten

WELTENTHEATER

 

1983 „Jüngstes Gericht“

           in der Orgelfabrik Karlsruhe-Durlach

1989 „99,9999999999999 Prozent aus leerem Raum“

           in der ehemaligen Waffen- und Munitionsfabrik IWKA Karlsruhe

           (Maschinentheater)

1995 „Quodnam facit iste ?“                                                   

            im Alten Rathaus Pforzheim  

 

1                 Narrenschiff

2                 Tanz um das Goldene Kalb

3                 Justiz und Staat

4                 Parlament in einer nicht-öffentlichen Sitzung mit regionalen Platzhirschen

5                 Der Pabst und die Hunde des Herrn Dominikaner

6                 Abendmahl

7                 Psyche der Beamten

8                 Schafsvolk

9                 Gläubige

10             Emanzipation

11             Apokalypse

12             Schlachthof der Tiere

13             Kreuzigung

14             Insektenfabriken

15             Hochofen der Sklaven

16             Toteninseln der Maschinen

17             Maschinenkreuzigung

18             1. Fassung: Hölle-Himmel-Inferno nach Dante

19             2. Fassung: Hölle-Himmel-Inferno nach Dante

20             Jüngstes Gericht I

-        Sixtina-Hommage à Michelangelo

-        Menschen sind Maschinen der Engel oder ein abgestürztes Programm

21             Jüngstes Gericht II

-        Sixtina-Hommage à Michelangelo

-        Die Toten sehen das Nichts

22             Das Paradies ist in Wirklichkeit die Hölle der Engel

23             Das Boot des Charon

24             Der Krieg

25             Tod am Fließband

26             Der große Spinnenpabst

27             Das Opfer Sacré

28             Ein Totentanz (mehrteilig)

29             Schraubenzwingen mit Klerikern

30             Pabstkrönung

31             Sinkendes Kirchenschiff

32             Faschismus I

33             Faschismus II

34             Kreuzigung der Kirche                                    

 

Interdisziplinäres Kunstprojekt

Altes Rathaus Pforzheim 1995

„Quodnam facit iste ?“

Die Frage, „Was macht der eigentlich da?“ bezieht sich auf die historischen Ungereimtheiten (im Leben und Werk) des Maler Jörg Ratgeb, der 1526 auf dem Marktplatz in Pforzheim gevierteilt wurde. Sie gaben Anlass zu dem Thema „Quodnam facit iste ?“, denn die künstlerischen Arbeiten Ratgebs fanden keineswegs das aufgeklärte Verständnis seiner Zeitgenossen, er wurde vielmehr angezweifelt und angefeindet. Folglich wurde diese Frage in der Ausstellung aufgegriffen, die keineswegs die Geschichte des Malers aufarbeiten soll. Der thematische Rahmen ist das  Weltentheater, welches in einer phantastischen Bildersprache Elemente herausarbeitet, die auch in unserer heutigen Zeit Fragen offen lassen, Themen wie die Kreuzigung der Tiere, Narrenschiff mit Pabst oder die Insektenfabriken (vgl. Auflistung der ausgestellten Werke). 

Alle diese Themen verbinden sich zu einer Gesamtaussage. Der große Glasaltar ist eine bemalte ironische Metapher auf christliche Altare von früher bis heute.